Lebensansichten aus dem 13. Stock

Berliner drehen Dokumentarfilm über die Grohner Düne

Grohn – Wo fühlen sich Menschen zu Hause? Wo sie geboren sind oder wo sie
wohnen und leben? Kann man sich in einer anonymen Großwohnanlage genauso zu
Hause fühlen wie in einem Einfamilienhaus oder in einer gemütlichen
Altbauwohnungen? Fragen wie diesen sind derzeit der Journalist Kolja Mensing
und der Dokumentarfilmer Florian Thalhofer auf der Spur. Ihr Zuhause ist
vorübergehend die oberste Etage der Grohner Düne: der 13. Stock – so auch
der gleichnamige Titel ihres Projektes. Ihr Ziel: Randerfahrungen.

Soziologen sollen bei einer Umfrage am Stadtrand von Hamburg herausgefunden
haben, dass die Heimatbindung in Großwohnanlagen recht groß ist. Ob das in
der Grohner Düne auch so ist, wollen Kolja Mensing und Florian Thalhofer
noch bis zum 31. August herausfinden. Seit vergangenen Montag leben sie im
13. Stock des Hochhauses.

„Wir interessieren uns für das Leben am Rand, am Stadtrand, am Rand der
Gesellschaft, am Rand der Aufmerksamkeit“, heißt es dazu in einer
Presseerklärung der beiden Wahl-Berlinern. Geplant sind laut Kolja Mensing
Interviews mit den Bewohnern der Grohner Düne. Jeder der mag, kann
vorbeischauen und seine Geschichte erzählen oder sich telefonisch unter
0179-5026404 im 13. Stock anmelden. „Wir hören uns erst einmal alles an“, so
Mensing.

Einige Kontakte gäbe es bereits mit Bewohnern der ersten Stunde. „Bei einer
kurzen Ortsbegehung vorab haben wir Leute getroffen, die hier seit 1972
wohnen“, berichtet Mensing, der auch keinen Hehl aus seinen anfänglichen
Vorurteilen der gegenüber der Grohner Düne macht. Er habe Bilder von
Großstadtfilmen vor Augen gehabt, von anonymen hässlichen Hochhäusern mit
dunklen Fluren. Bei der ersten Besichtigung sei er aber angenehm überrascht
worden. „Es ist alles heller, als ich dachte“, so der Journalist. „Die
Leute, mit denen wir gesprochen haben, fühlen sich scheinbar wohl.“ Die
Zukunft des Landes, glaubt Mensing, liege nicht in den Zentren großer
Städte, sondern am Rand. Im Hinblick auf die Utopien, die man in den letzten
30 Jahren entwickelt habe, könne man am Beispiel der Grohner Düne sehen, was
nicht funktioniere.

Auch die Auswirkungen von Hartz IV, vermutet Mensing, würden in den
Hochhäusern am deutlichsten. Dennoch: „Es soll keine schmucke
Armutsreportage werden“, bekräftig der 33-Jährige. Bei dem Projekt geht es
laut der Pressemitteilung vielmehr um hohe Häuser und kleine Welten, um
Schöner Wohnen und Sicher Leben, um Angst, Architektur und Abenteuer.

Initiiert wurde das mit etwa 25000 Euro budgetierte Projekt von der
Arbeitnehmerkammer Bremen und in die Veranstaltungsreihe „Du – die Stadt“
integriert. Im Rahmen dieser Reihe war Kolja Mensing im April 2004 mit einer
Lesung aus seinem Buch „Leben in der Provinz“ zu Gast im Foyer der
Arbeitnehmerkammer.

Mit Kunst- und Kulturprojekten wie „Du – die Stadt“ wolle man
„Stadtansichten jenseits des Postkartenklischees produzieren“, erzählt
Thomas Frey, Referent für Kultur- und Stadtentwicklungspolitik bei
Arbeitnehmerkammer, und Menschen und ihre Haltung zur Stadt Bremen
öffentlich machen. Dementsprechend wird während des Projektes nicht nur
interviewt, sondern ebenso gefilmt. Unter dem Arbeitstitel „13. Stock“ soll
ein etwa 45-minütiger interaktiver Dokumentarfilm entstehen. DF

Foto: Wie lebt es sich in der Grohner Düne, dem ehemaligen Vorzeigeprojekt
der Neuen Heimat? Foto: ahl

Foto: Journalist und Schriftsteller Kolja Mensing auf Spurensuche am
Stadtrand. Foto: FR

(Das BLV, 4. August 2004)