[13. Stock] – Pressemitteilung

Veränderung beginnt am Rand. Als die Bundesrepublik in den 70er-Jahren ihren Weg in die Moderne sucht, verlassen die Architekten und Planer die Zentren der großen Städte. Vor den Toren Frankfurts entsteht die Nordweststadt, im Schatten der Berliner Mauer die Gropiusstadt.

In dieser Zeit wird im Norden von Bremen die Grohner Düne gebaut. 527 Wohneinheiten, Platz für mehr 1500 Menschen. Während sich im Wasser der Weser das Antlitz einer neuen, urbanen Gesellschaft spiegelt, kann man aus den Fenstern im 13. Stock weit in die Zukunft sehen.

Der Blick trübt sich. Die Grohner Düne gerät genau wie viele andere Vorzeigeprojekte des sozialen Wohnungsbaus schnell in Verruf. Leerstand, Drogen und Kriminalität, Ausländerfeindlichkeit und Ghettobildung: Hier bleiben nur noch die, denen nichts anderes übrig bleibt. Während sich die Eigenheimsiedlungen am Rand der Kleinstädte von Jahr weiter ausbreiten, wird in Bremen-Nord immer wieder von Abriss gesprochen.

Doch die Grohner Düne bleibt. Man versucht zu reparieren, was zu reparieren ist. Die Erfolge der Baussanierung und des „social engineering“ werden durch eine 24-Stunden-Videoüberwachung und einen privaten Wachschutz abgesichert. Irgendwie funktioniert es sogar. Veränderung beginnt am Rand.

Spiegelt sich in den Linsen der Überwachungskameras die Gesellschaft von morgen? Und wie weit kann man heute schon vom 13. Stock aus in die Zukunft sehen? Der Videokünstler Florian Thalhofer und der Schriftsteller Kolja Mensing werden in der Grohner Düne mit Kamera und Mikrofon Videobilder und Geschichten der Bewohner sammeln – und sie anschließend mit ihren eigenen Eindrücken, mit Archivmaterial und Musik zu einer Multimedia-Installation zusammenfügen.

Es wird um hohe Häuser und kleine Welten gehen, um Schöner Wohnen und Sicher Leben, um Angst, Architektur und Abenteuer. Unter dem Arbeitstitel [13. Stock] soll so ein ca. 45 Minuten langer, interaktiver und non-linear erzählter Dokumentarfilm entstehen. Er kann als Installation mit mehreren Monitoren ausgestellt werden, funktioniert aber auch ohne großen Aufwand als CD-ROM oder im Internet.

Zeitraum

August 2004


Florian Thalhofer.

Geboren 1972. Studierte Visuelle Kommunikation an der Universität der Künste, Berlin. Studienaufenthalte an der Bellas Artes, Barcelona und der UCLA in Los Angeles. Beginn 2003 Meisterschüler-Abschluß. Seit Frühjahr 2001 Dozent am Institut für Experimentelle Mediengestaltung der Universität der Künste Berlin, Berlin, in der Klasse 'Interactive Narration'. Erfinder des [korsakow systems], einer Software zur Erstellung interaktiv
narrativer Projekte. Gründungsmitglied und Dozent am Korsakow-Institut, Amsterdam. Bildredakteur bei Deutschen Welle TV.

Auswahl veröffentlichter interaktive Arbeiten:
[kleine welt], CD-Rom, 1997, veröffentlicht 1999 von Mediamatic, Amsterdam + 2001 von spex, Köln.
[getrich with art], CD-Rom/Brettspiel, 1999, in Zusammenarbeit mit Anja Lutz und Jim Avignon, veröffentlicht von shift! Magazin.
[korsakow syndrom], ein nonlinearer Dokumentarfilm zum Thema Alkohol, 2000.
[LoveStoryProject], interaktive dokumentarische Rauminstallation, 2002, in Zusammenarbeit mit Mahmoud Hamdy
[7sons], interaktive dokumentarische Rauminstallation, 2003, in Zusammenarbeit mit Mahmoud Hamdy

Auswahl an Preisen:
literatur.digital award 2002 [kleine welt]
digital sparks 2002 [korsakow syndrom]
reddot design Award 2002 [korsakow syndrom]
Multimedia Transfer Award 2002 [korsakow syndrom]
Werkleitz Award 2001 [korsakow syndrom]
CYNETart -recognition 2001 [korsakow syndrom]
Nominiert für den Internationalen
Medienkunstpreis 2003 [LoveStoryProject] 2002 [korsakow syndrom]

Kolja Mensing:

1971 geboren und in der niedersächsischen Kleinstadt Westerstede aufgewachsen. Dort gibt es einen Jeans-Shop, zwei Pizzerien und drei Sporthallen. Dann Studium in Oldenburg und Münster. (So leicht lässt einen die Provinz nicht los.) Seit 1996 als freier Kulturjournalist und Literaturkritiker in Berlin, für die Frankfurter Rundschau, die taz und das DeutschlandRadio. Seit 1998 in der Kulturredaktion der taz, von 2002 an als Literaturredakteur. Mittlerweile ist Kolja Mensing wieder Freiberufler und lebt er als Journalist und Schriftsteller im Prenzlauer Berg – zusammen mit all den anderen Menschen, die in Neunzigerjahren aus der Provinz nach Berlin gekommen sind.

Kolja Mensing veröffentlichte 2002 sein Debüt „Wie komme ich hier raus? Aufwachsen in der Provinz“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch).

Florian Thalhofer und Kolja Mensing treten gelegentlich mit Tobias Hülswitt und Jim Avignon in der [kleinen welt show] auf.