27.8.2004

Ein Hochhaus wie ein Dorf

Bremen. Die anderen Bewohner grüßen inzwischen ganz selbstverständlich. Seit rund drei Wochen leben und arbeiten der Schriftsteller Kolja Mensing und der Videokünstler Florian Thalhofer im 13. Stock der Grohner Düne in Bremen-Nord. Für einen interaktiven Dokumentarfilm sammeln sie mit Kamera und Mikro Geschichten aus dem Betonklotz, der einst als Vorzeigeobjekt der Neuen Heimat galt und vor wenigen Jahren beinahe abgerissen werden sollte.

"Das ist ein widerlicher Bau", soll ein anonymer Anrufer gesagt haben, der von dem Vorhaben in der Zeitung gelesen hat, "Ich wohne hier seit 15 Jahren. Die Grohner Düne ist eine Hochburg der Kriminalität."

Vor ihrem Einzug in den Komplex mit seinen 420 Wohnungen und 1500 Bewohnern hatten die beiden Künstler aus der Berliner Stadtidylle keine Vorstellung vom Hochhausleben im Bremer Norden. "Wir interessieren uns für das Leben am Rand, am Stadtrand, am Rand der Gesellschaft, am Rand der Aufmerksamkeit", schrieben Mensing und Thalhofer damals. Den Anstoß dafür gab die Projektreihe "Du - Die Stadt" der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Ihren schlechten Ruf hat die Grohner Düne aber offenbar nicht verdient. Nach mehreren Wochen in der hellen, quadratischen Wohnung fühlen sich beide fast schon heimisch. Mensing sagt, er vergesse inzwischen auch immer häufiger, dass er von Videokameras überwacht wird. Die Kameras waren aus Sicherheitsgründen in der Anlage installiert worden. Doch auch Florian Thalhofer sagt: "Das Leben hier ist ganz normal. Nicht gefährlich oder so. Und es leben hier auch nicht lauter sozial Schwache. Die Grohner Düne ist wie ein Dorf."

Da ist zum Beispiel Karin Witt, die "nie hierher ziehen wollte" und jetzt auf eigene Rechnung das Hochhaus putzt. "Mein Mann lacht schon immer über mich und meint, dass ich irgendwann noch mal meinen Radius bis zum Sedanplatz ausweite", erzählt sie. Die 61-jährige Altenbetreuerin räumt Müll hinter ihren Nachbarn her und findet trotzdem nur freundliche Worte für sie. "Ein ideales Wohnprojekt dieser Größenordnung gibt es nicht. Wo viele Menschen zusammenleben, gibt es immer Probleme." Der Film von Mensing und Thalhofer, hofft sie, räume vielleicht mit den alten Vorurteilen auf.

In ihrem Internet-Tagebuch berichten beide detailliert von ihren Erlebnissen. Einmal ist aber doch die Rede von einem Polizeieinsatz: "Im Wald mit Farbkugeln aufeinander schießen kann jeder. Aber in so einer Wohnanlage, das ist viel besser. Als dann aber Scharfschützen mit schwarzen Masken und Kampfausrüstung kommen, bekommt es Christian doch mit der Angst."

Noch bis kommenden Dienstag wollen Thalhofer und Mensing in der Wohnanlage am Hafen bleiben. Ihre Interviews sollen um eigene Eindrücke und Archivmaterial ergänzt werden. Am Ende steht ein 45-minütiger, interaktiver Dokumentarfilm. "Es wird um hohe Häuser und kleine Welten gehen", hatten beide zu Beginn angekündigt, "um schöner Wohnen und sicher leben, um Angst, Architektur und Abenteuer."

Informationen zum Videoprojekt gibt es im Internet unter www.13terstock.de.

(Weser Kurier, 27. August 2004)